Mir sind schon mehrmals im Leben folgende Sätze begegnet; „ Aber verstehe mich doch, du musst mich verstehen, du solltest mich verstehen“. Ich höre dies Partner, Freunde oder Arbeitskollegen untereinander sagen. Mit Druck- und Machtausübung wird hier versucht den anderen zum Verständnis zu bringen. Den Nachdruck jemandem das Verständnis aufzuzwingen entsteht aus einem Ohnmachtsgefühl heraus. Für jedes menschliche Lebewesen ist Verbindung wichtig, wenn Unverständnis sich breit macht, wird die Verbindung unterbrochen und distanziert man sich voneinander.
Auch die Sätze; „du verstehst gar nichts, du hast eh keine Ahnung“, werden manchmal von Kindern wenn sie kleiner sind, jedoch umso mehr Richtung Pubertät benutzt. Auch diese Sätze zeigen eine Macht über oder Druckausübung auf die Umgebung. Einerseits kann dies aus Ohnmacht, als Zeichen unerfüllte Bedürfnisse, passieren indem die Verbindung fehlt oder es geht hier ganz klar um Abgrenzung. Vor allem in der Pubertät möchten die Teenager „sicher nicht so sein oder sogar werden wie ihre Eltern“. Sie brauchen diese Abgrenzung um sich selber zu entdecken, sich von zu Hause abzunabeln. Und dann ist es einfach zu behaupten, die Eltern hätten eh keine Ahnung, wir waren auch noch nie in der Pubertät…. ;-) Dieser natürliche Prozess, der Umgang damit und das Verständnis, dass wir dafür als Eltern aufbringen können, liegen vor allem auf der Bedürfnisebene. Wie diese Abnabelung stattfindet, welche Wege (Strategien) die Jugendlichen wählen, damit brauchen wir jedoch nicht einverstanden zu sein.
Nehmen wir z.B. Folgendes an:
Ein Jugendlicher möchte endlich mal selber etwas bestimmen, seine Eigenverantwortung nehmen und zeigen, dass es sehr gut alleine entscheiden kann und zurechtkommt. Er kommt zur abgesprochenen Zeit am Abend nicht nach Hause und schickt eine SMS, dass er erst am nächsten Tag Heim kommt. Die Eltern haben keine Ahnung, wo ihr Kind ist und machen sich grosse Sorgen um seine Sicherheit. Sie setzten alles in Bewegung, um ihr Kind Heim zu kriegen; sie schreiben SMS, rufen aufs Handy an, fahren zum Ort wo es gefeiert hat, nehmen Kontakt mit dem Taxiunternehmen auf, welches es mitgenommen hat, kontaktieren die Polizei, Facebookseite wird durchgekämmt, Freunden des Kindes werden in der Nacht angerufen, alles ohne Erfolg. Sie müssen warten bis zum nächsten Morgen.
Dass dieser Jugendliche sich abgrenzen und eigene Wege testen möchte ist klar und dafür haben die Eltern Verständnis, jedoch mit dem gewählten Weg sind sie überhaupt nicht einverstanden. Auch der Jugendliche zeigt Verständnis für die Sorgen und Ängste der Eltern, jedoch ist auch dieser mit dem Weg der Eltern, absolut nicht einverstanden. Schlussendlich konnte nach der Rückkehr die verschiedenen Gefühle und Bedürfnisse in mehreren klärenden Gesprächen aufgearbeitet werden und wurde die Beziehung zwischen Eltern und Kind stärker als je zuvor.
Dieses Beispiel zeigt, dass auch wenn die Situation extrem eskaliert und es zwischen beiden Seiten eine enorme Distanz gibt, da man gegenseitig absolut nicht einverstanden ist, trotzdem Verständnis entstehen kann, wenn man auf der Gefühls- und Bedürfnisebene bleibt. Die Voraussetzung ist, dass beide Seiten bereit sind sich für ihre Gefühle und Bedürfnisse zu öffnen. Zusätzlich brauchen beide Empathie für ihre Empathielücken, sei es durch Selbstempathie oder Fremdempathie (von einem Aussenstehenden).
Die Frage ist: Kann man immer Verständnis zeigen?
Laut Duden bedeutet Verständnis: „Die Fähigkeit sich in jemanden hineinzuversetzen“, also Empathie. Und Empathie kannst du anderen nur entgegen bringen, wenn du selber grade keine Empathielücke hast, wenn deine Bedürfnisse mit dir im Einklang sind. Das bedeutet, dass wenn du zufrieden, offen, ausgeglichen bist, deine Bedürfnisse in dem Moment erfüllt sind, du dann fähig bist zu hören, was der andere sagt oder braucht. Ausserdem kann jeder für sich entscheiden, ob er dazu bereit ist Verständnis zu zeigen, es setzt eine Freiwilligkeit voraus. Die Bereitschaft Verständnis zu zeigen wird auch eher bei Menschen, mit denen man eine engere Beziehung pflegt als bei Fremden stattfinden, da uns bei ersterem die Verbindung und der Kontakt wichtig sind.
Meine jüngste Tochter erzählte mir letztens ein Erlebnis von der Schule, wer, wie, was gesagt und anschliessend getan hat und da ich auf Anhieb nicht alles verstanden habe, habe ich nachgefragt. Jedoch hörte ich sofort den Satz: „Du verstehst es ja eh nicht.“ Sie ging total auf Distanz und zeigte auch non-verbal, dass sie nicht daran interessiert war es nochmal zu wiederholen.
Zuerst wollte ich verärgert reagieren im Sinn von: „Dass ich wohl sicher versuche sie zu verstehen, sonst würde ich ja nicht nochmal nachfragen.“ Jedoch da kam mir eine andere Idee und so fragte ich mich, was ihre Absicht ist, mir dies zu erzählen. Um was geht es ihr dabei? Ist es wirklich wichtig, dass ich den ganzen Ablauf des Geschehenen kenne oder ist es wichtiger zu schauen, wie es ihr dabei geht? Und so bin ich auf ihre Gefühle und Bedürfnisse eingegangen. Der Kontext des Erzählten zeigte sich nicht so wichtig und im Sehen und verstehen ihrer Bedürfnisse kamen wir wieder näher zusammen und wurde die Verbindung wieder hergestellt.
Nachher sagte sie, Mama es ist so schön, dass ich dir alles erzählen kann J
Dieses Beispiel zeigt, dass manchmal der Inhalt des Erzählten gar nicht so wichtig ist.
Frage dich eher mit welcher Absicht jemand dir dies erzählt. Geht es um reine Information, was wichtig ist zu wissen damit du z.B. deine Arbeit erledigen kannst oder damit du weisst, wie der Tag organisiert ist. Oder braucht dein Gegenüber Sympathie (nicht zu verwechseln mit Empathie), um zu spüren, dass es nicht alleine mit dem Thema steht und dass der andere genauso handeln würde. Dabei möchte ich sagen, dass Sympathie manchmal gut tut, jedoch wirst du von dem nicht gestärkt. Oder befindet sich dein Gesprächspartner/ Kind in einer Empathielücke und braucht es Empathie? Braucht es gehört zu werden, indem was es gerade fühlt und braucht dies, um so wieder entspannter und gelassener seinen Weg zu gehen?
Wenn Gespräche eskalieren passiert dies meistens, weil unerfüllten Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Das was sichtbar ist, eine vorgeschobene Handlung wird herangetragen wie z.B. der Abwasch, der noch nicht erledigt worden ist oder das Essen, das noch nicht fertig ist. Dies steht meistens im Fokus des Konflikts, jedoch ist es nur die Spitze des Eisbergs. Das, was unter der Wasseroberfläche liegt, der Rest des Eisbergs, die Basis, die Quelle, bezieht sich meistens auf Differenzen auf der Persönlichen Ebene. Dies ist der eigentliche Ursprung des Konflikts, z.B. nicht gesehen werden und keine Wertschätzung bekommen in dem was schon erledigt worden ist oder fehlende Rücksichtnahme und Selbstbestimmung. Das Herausfinden der unerfüllten Bedürfnisse ist somit essenziell, um Eigenverständnis und Verständnis für dein Gegenüber zu bekommen.
Mir ist es ein grosses Anliegen, dass jeder Mensch, klein oder gross, seine eigene Meinung und eigenen Ideen vertreten darf und in Bewusstheit dieser empathisch mit sich selber und seiner Umgebung umgeht. Ich möchte Menschen in ihrer Verantwortung stärken, indem sie ihre Absichten von Handlungen oder Gesagtem überprüfen und sich z.B. folgende Fragen stellen:
„Was will ich damit erreichen?“ „Was brauche ich mit dem was ich sage?“ „Welche Erwartungshaltung habe ich?“ „Wie fühle ich mich?“ „Handle ich aus meinen erfüllten oder aus meinen unerfüllten Bedürfnissen heraus?“ „Ist mein Gegenüber bereit es zu hören?“ „Was braucht mein Gegenüber?“ …
Bedürfnisorientiert Erziehen und Leben verbreiteten sich in unserer Gesellschafft langsam aber sicher. Mehr und mehr Menschen nehmen ihre Selbstverantwortung wahr, übernehmen Verantwortung für ihre Gefühle und werden frei von den Meinungen anderer. Das Verständnis zu dieser Lebensweise stösst manchmal auf viel Widerstand und Gegendruck. Menschen um dich herum geben dir Grenzen auf Grund ihrer eigenen Konditionierungen oder mit der Begründung die Regeln der Gemeinschaft zu vertreten. Wenn man jedoch weiss, dass die Grenzen, die einem aufgezeigt werden in Wahrheit die Grenzen der anderen geleitet von ihre unerfüllten Bedürfnissen sind, muss man diese Verantwortung nicht mehr übernehmen, was Erleichterung mit sich bringt.
Viel Erfolg auf deinem Weg!
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